Der Eisenacher Sommergewinn

„Gut Ei“ gegen den Winter

Wenn das nur so einfach wäre. Ein kurzes Streitgespräch, bei dem vor einem großem Publikum deutliche Worte fallen, und der garstige Winter mit Eis, Schnee und kalten Winden ist zu Ende. Stattdessen weht ein laues Lüftchen und der Himmel ist blau – immer exakt drei Wochen vor Ostern. Eisenach in Thüringen heißt so den Frühling willkommen. „Sommergewinn“ heißt das traditionelle Fest.

Wenn die Wartburgstadt am Laetare-Wochenende eines der ältesten und größten Frühlingsfeste in Deutschland feiert, lässt sich tatsächlich oft die Sonne blicken, versichern Einheimische. So sollte es auch sein, schließlich steht der Ausgang des Fests von vornherein fest: Frau Sunna weist Herrn Winter in die Schranken. Der von vielen Schaulustigen bejubelte Sieg des Sommers über den Winter, der durch das Verbrennen einer Strohpuppe auf dem Marktplatz symbolisiert wird, ist der Höhepunkt des Sommergewinns und des bunten Festzugs durch die Stadt. 

Doch der Reihe nach: Bevor es zum Duell der Jahreszeiten kommen kann, einem alten Brauch, muss jede Menge Arbeit geleistet werden. Nicole Päsler vom Eisenacher Verein Sommergewinnszunft unterstreicht das ehrenamtliche Engagement der über 1000 Aktiven. „Die Mottowagen des Festzugs werden alle von Laien gebaut. Seit dem Herbst sind wir mit Vorbereitungen voll ausgelastet.“ Auch die allgegenwärtigen Symbole Huhn, Ei und Brezel würden Jahr für Jahr meist neu angefertigt. „Außerdem müssen rund 400 000 Blumen aus Krepppapier gefaltet werden“, resümiert die Eisenacherin. 

Zunftvorsitzender Torsten Daut erklärt die Bedeutung der drei Symbole: „Das Huhn verkündet den anbrechenden Tag und somit das Licht. Das Ei steht für die Fruchtbarkeit und die Brezel symbolisiert den Kreislauf des Lebens und das Ewigwiederkehrende.“ Die Papierblumen sollen natürlich als Sonnenblumen angesehen werden. Daut trägt eine bunte Kappe, über deren Stirnpartie ein Huhn thront. Er ist nicht der einzige. Diese spezielle Kopfbedeckung drückt die Verbundenheit mit der Eisenacher Sommergewinnszunft aus. 

Kein schlichter Kindervers

Torsten Daut und seine Mitstreiter kommen am Vorabend des Festumzugs im Zunfthaus zusammen, um bei den Vorbereitungen des Fackel- und Lampionumzugs zu helfen. Er ist noch einigermaßen neu im Programm des Sommergewinns und richtet sich besonders an die Kinder. Alle begrüßen sich hier mit dem Ruf „Gut Ei und Kikeriki“. Wer das für einen schlichten Kindervers hält, wird sich in den nächsten Stunden wundern. Denn die Formel wird bei jeder sich bietenden Gelegenheit voller Inbrunst geschmettert – von Jung und Alt. 

Am Vormittag des Festumzugs führt der Weg der Schaulustigen zum Ehrensteig. Dieser historische Straßenzug ist sozusagen das Herzstück der Tradition des Sommergewinns. Hier wird so gut wie jede Hausfassade und jeder Vorgarten geschmückt. Dem Einfallsreichtum sind dabei keine Grenzen gesetzt. Von einer als Frau Sunna gekleideten Schaufensterpuppe bis zu alten Postkarten reicht das Spektrum, das weit über das Pflichtprogramm Huhn, Ei, Brezel und Papierblumen hinausgeht. Schnell kommt man mit den Einheimischen ins Gespräch.

In dem Viertel rund um den Ehrensteig, einer ehemaligen Hörigensiedlung der Wartburg, sollen die Wurzeln des heutigen Sommergewinns liegen. Ethnographin Juliane Stückrad aus Eisenach erklärt, dass die genauen Entstehungsgründe aufgrund geringer Forschungen im Dunkeln liegen. „Der Brauch ist als Reaktion auf eine Pestepidemie denkbar, aber er verweist durch seinen Termin an Laetare, wo das Fastenbrechen erlaubt war, auch auf christliche Zusammenhänge.“ 

Eindeutig ist, dass Jacob Grimm den Sommergewinn vor rund 200 Jahren beschrieben hat und dass er seit 1897 mit einem Festzug und dem abschließenden Streitgespräch zwischen Winter und Sommer gefeiert wird. „Der Brauch wurde vom ärmeren Teil der Bevölkerung in die Stadt getragen“, informiert die Volkskundlerin. Heute stehe er in voller Blüte und habe eine große, gesellschaftlich verbindende Bedeutung, fasst Stückrad zusammen. „Neuerdings sind auch viele Junge dabei. Das liegt sicherlich auch daran, dass der Sommergewinn eine Bühne bietet für Menschen, die sich kreativ ausdrücken möchten.“ 

Langer Lindwurm

Was mit einem Sommer- und einem Winterfestwagen begann, ist zu einem 1,2 Kilometer langen Lindwurm angewachsen, in dem sich die von über 100 Pferden gezogenen Themenwagen mit Fußgruppen und Musikkapellen abwechseln. Voriges Jahr war das Thema des Festzugs das Immaterielle Erbe des Landes Thüringen. Und da konnte einiges an Handwerkskunst und Traditionen aufgeboten werden. Vom Lauschaer Christbaumschmuck über die Kindergartenidee von Friedrich Fröbel bis zur Thüringer Bratwurstkultur und dem Sommergewinn selbst. Der gehört seit 2016 sogar zum Immateriellen Erbe Deutschlands. 

Da staunte man über den Festwagen mit emsig beschäftigten Gartenzwergen, über die Kneipenszene mit Skatspielern oder die Wagenkulisse mit ausgestopftem Fuchs, einem Hund und Professor Brehm bei der Lektüre. Auch all diese Themen finden sich auf der Thüringer Liste des Immateriellen Erbes. Dazwischen präsentierten sich Engel und Weihnachtsmänner auf Skiern sowie Germanen zu Pferd dem Publikum. Man sah Eskimos und Eisbären, Wetterfrösche und Regenbögen und immer wieder Blüten-Motive. 

Vom Herold angeführt

Angeführt wird der Festzug stets von einem Herold, dem hoch zu Ross die Symbole des Sommergewinns, Huhn, Ei und Brezel folgen – selbstverständlich begleitet vom vielstimmigen Ruf „Gut Ei und Kikeriki“. Das Ende des Festzugs bilden die beiden Wagen, auf denen Winter und Sommer zum Marktplatz gezogen werden. 

Im Schatten von Georgenkirche, Rathaus und Stadtschloss kommt es schließlich zum Duell. „Wohlan, Herr Winter, zu Ende ist deine Regentenzeit! Mich kannst du nicht schrecken, kalter Gesell!“ Frau Sunna ist sich ihrer Sache sicher. Und tatsächlich: Bald gibt sich Herr Winter geschlagen. Damit der Sieg endgültig ist, wird anschließend eine Strohpuppe verbrannt. Während sich danach der Festzug langsam auflöst, füllen sich die Terrassen der Lokale. Und die Sonne scheint. 

Ulrich Traub

Information

Der Festumzug am 9. März ab 14 Uhr mit 40 Wagen und Kutschen steht unter dem Motto „Die Werra im Wartburgkreis“. Am Laetare-Sonntag findet am Vormittag ein Festgottesdienst in der Annenkirche statt. Am Abend wird die warme Jahreszeit dann mit einem Feuer­radrollen begrüßt. Weitere Infos: www.sommergewinn-eisenach.de.